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  • AutorenbildBruno Küttel

Schwindlig

Aktualisiert: 3. Juni 2020


Es geschehen Dinge, die ich nicht für möglich hielt. Nicht bei uns in der Schweiz. Nicht in meinem Leben. Ausnahmezustand, und was das mit mir macht … Für mich war das ein Schock. Das letzte Mal, als ich nur gehorchen und tun und lassen musste, was man mir befahl, war vor 43 Jahren. Da war ich Rekrut im Militär. Wer nach dem Sinn fragte damals, wie ich es immer tat, wurde abgekanzelt. Was man uns befahl, war auszuführen ohne Wenn und Aber. Befehl war Befehl. Leicht fiel mir das nicht. Ich wollte, dass man mir erklärte. Ich wollte verstehen, was man von uns verlangte. Aber beim Zeitgeist von damals kam ich mit meinen Fragen … Zum Glück war ich nicht allein. Zum Glück gab es noch ein paar andere Rebellen … Viele waren wir nicht, aber immerhin … Zehn Jahre früher, als die 68er die harte Kruste, die den Staat und die Gesellschaft überzog, aufzubrechen begannen, waren es noch viele.


Und jetzt das, im Jahr 2020! Schockstarre zuerst und Düsternis rundum. Meine Rechte und meine Freiheit auf einen Schlag weg. Der Bundesrat mit einer noch nie erlebten Machtfülle … ohne jeden demokratischen Diskurs … An Mehrheitsentscheide, die mir längst nicht alle gefallen, war ich mich gewöhnt. Das gehört zur Demokratie. Eine Allmacht der Regierung aber, mit ihren Chef-Beamten und ihren Chef-Beratern … Allmacht, ja, so kam das bei mir an … Dann brach die Wut sich Platz. Ein Zeichen wollte ich setzen. Ein Zeichen fürs freie Denken, fürs Fragen und für die Kritik … Ein Zeichen, dass ich nicht bereit war, das Nachdenken über die Macht denen zu überlassen, die in der Hochphase der Krise das Wasser mit aller Kraft auf ihre Mühlen lenken … Dass ein Disput, wie ich ihn mir wünschte, nicht mehr möglich war, nahm ich aber schnell zur Kenntnis. Nicht einmal mit Freunden, die Freigeister sind wie ich, war das Gespräch noch möglich … Dass ich «Mündig» schrieb und «Chance», bedaure ich trotzdem nicht.


Und jetzt kommt «Schwindlig» noch dazu: Ein jeder mache, was er machen kann! Ich schreibe meine Geschichten und bin ansonsten für meine Klienten und Klientinnen da. So geht der Alltag weiter, auch in Zeiten der Abnormität … Der Ausnahmezustand, das ist das Gute bei uns, hat nicht lange Bestand … Aber auch bei uns zeigt der Ausnahmezustand Wirkung … Was bedeutet das für uns? Was bedeutet das für mich? Was bedeutet es für Dich? Niemand kann das sagen. Niemand kann das wissen. Und wann ist es vorbei? Nur eines ist gewiss: Ein Danach wird es geben, und danach ist es bald. Denn keine Regierung in unserem Land, auch nicht in den umliegenden Ländern, kann es wagen, die Wirtschaft und die Gesellschaft stillzulegen auf unbestimmte Zeit. Und für die Zeit danach braucht es Perspektiven.


Der Mensch ist ein denkendes Wesen. Der Mensch ist ein handelndes Wesen, Nichtstun fällt ihm schwer. Und der Mensch in der Demokratie will mitentscheiden können. In diesem Sinn: Was wir über ein paar Wochen hinnehmen müssen, falls ein echter Notstand herrscht, muss in absehbarer Zeit auch wieder sein Ende finden, sonst geht zu viel in die Brüche. Und auch in diesem Sinn: Wer sein Volk zum Stillstand zwingt, muss wissen, wie er oder sie das Ganze auch wieder in Bewegung bringt … Ich übe mich im Vertrauen, dass sie wissen, wie das geht … und dass sie das auch können … Aber im Moment erinnert mich noch vieles an die Zeit vor 43 Jahren, als ich in der Rekrutenschule war. Für das Land und für die Gesellschaft war das ohne Belang.


Aber heute sind alle … Nicht wirklich alle, auch die Gewinner der Krise gibt es, und denen ist auf die Finger zu schauen, schon jetzt … Und wenn es dann vorbei ist, gilt das erst recht. Dann darf man wieder fragen. Dann muss man wieder fragen. Auch ob die Massnahmen, die die Regierung ergriff, notwendig und verhältnismässig waren, wie die Verfassung das verlangt. Das ist für einen Rechtsstaat essenziel … Und man wird wieder diskutieren können und diskutieren müssen. Auch um die Zusammenhänge wird es dann gehen, die man jetzt pauschal als Verschwörungstheorien verunglimpft … Zugegeben, die Theoretiker des Bösen gibt es … Wie es auch auf der anderen Seite die Euphoriker des Rigorosen gibt, die im aktuellen Notrecht nur Gutes sehen wollen, das keiner auf keinen Fall in Frage stellen darf – koste es, was es wolle.


Das «koste es, was es wolle» geht zum Glück nicht lang, danach ist fragen wieder erlaubt. Und Antworten haben dann die Regierenden zu geben, die mit Vollmacht regierten … Ihnen wird man dann, im besseren Fall für sie, zugutehalten, dass sie taten, was sie tun mussten, gemäss den Plänen, die die Experten … Aber man wird sie dann auch fragen, warum sie die anderen Experten nicht mehr hörten … Ja schlimmer noch: Weshalb man all die anderen kurzum verteufelt hat.


Aber vielleicht, wer kann das wissen, ist es danach auch anders. Vielleicht beginnen sie ja dann, zusammen nach Lösungen zu suchen und Lösungen zu finden, die dem Wohl von denen dienen, die sie wählten. Vielleicht tun sie dann die Dinge, die seit langer Zeit unausweichlich sind … Und bis es so weit ist, ziehe ich meine Lehren: Mich erinnert, was jetzt geschieht, an ein Seminar für Menschen mit Höhenschwindel und Höhenangst, in dem ich einmal war. Ich ging ins Seminar wegen der weichen Knie, die ich bekam, wenn ich auf einer Bergtour an einen Abgrund kam. Was ich lernte im Seminar, ist mir viel wert. Es ist zum Schwindlig-Werden im Moment … Gut habe ich geübt, wie man schwierige Passagen meistert: Atem holen, in die Ruhe kommen, auf den Boden sitzen eventuell, und weitergehen Schritt für Schritt, wenn die Beine wieder stabil sind – und bei all dem die Schönheit der Berge nicht aus dem Blick verlieren … In diesem Sinn: Gut für mich, dass ich im Seminar war. Gut, dass ich dort übte. Und gut, dass ganz viele auf ihre Art an ihrem Ort übten. So gelingt es jetzt ganz vielen, im Sturm, den viele betreiben, ruhig und bei sich zu bleiben.


Und noch eine Lehre ziehe ich für mich: Mit «Mündig», «Chance» und «Schwindlig» ist alles jetzt gesagt, was ich sagen will zu Corona. Alles andere überlasse ich gern den anderen, die dafür kompetent sind – dem Prof. Dr. Stefan Hockertz von der Uniklinik Hamburg zum Beispiel.



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