Chance
- Bruno Küttel
- 20. März 2020
- 4 Min. Lesezeit

Ich war gestern mit dem Auto unterwegs. Ich musste, man hat ja nach wie vor auch Pflichten. So hörte ich im Radio Dinge, die ich zuhause nicht gehört hätte, und das war gut so. Gut war es trotz Corona, Corona, Corona … Oder gut war es gerade deswegen. Was ich zu hören bekam, tat mir die Augen auf: Das Ganze um Corona hat eine Dynamik angenommen, die es unmöglich macht, in der Art meines «Mündig» ein nüchtern-sachliches Nachdenken zu fordern. Ein Nachdenken auch über die Standpunkte von Ärzten, die dem Mainstream widersprechen, ist im Moment ganz einfach undenkbar. Ich wurde mir auch bewusst, dass ich mit der Geschichte «Mündig» eigentlich das tat, was ich in der Geschichte selbst «Kämpfen gegen Windmühlen» nenne, und von dem ich sage, dass das zwar literarisch schön, aber, unter den Umständen der Zeit, gänzlich sinnlos wäre. In diesem Sinn entschied ich mich auf der Fahrt, die Geschichte «Mündig» von meiner Webseite zu nehmen … Ich entschied mich so, aber mache es trotzdem anders. «Mündig» ist nicht falsch, aber «Mündig» entwickelt sich … Heute sage ich «Chance».
Ich habe heute auf YouTube KenFM geschaut: «Tagesdosis 19.3.2020 – Corona Krise – ‘Wir befinden uns im Krieg’». Schön ist das nicht, nützlich aber schon. Wertvoll ist das für den «Rest von denkenden Menschen», wie es dort heisst. Journalistisch zugespitzt, ja, wertvoll aber trotzdem. ‘Warten wir’s ab’, dachte ich im Stillen, ‘ob es nach der Krise auch Politiker und Politikerinnen gibt, die wieder zu denken und darüber zu reden wagen’. Und während ich die Frage stellte – eine Frage an mich selbst – wurde ich mir bewusst, dass es nicht ums Fragen geht, es geht jetzt ums Vertrauen. Wir haben keine andere Wahl, als fest darauf zu vertrauen, dass das, was jetzt geschieht, die Chance erhöht, dass sich die Welt als Ganzes wandelt, und mit der Welt wandelt sich auch der Mensch. Und weil auch die führenden Köpfe, Männer und Frauen, alles nur Menschen sind, findet der Wandel auch in den Köpfen und in den Herzen der führenden Menschen statt … Darauf zu vertrauen, ist für mich die grösste Herausforderung der aktuellen Zeit … Diese Herausforderung muss angenommen werden. Auch ich habe keine andere Wahl.
Erste Zeichen, noch nicht für eine Entspannung, aber für ein Erwachen der Vernunft jenseits des Kriegs- und Katastrophen-Modus, in dem die Manager der Krise agieren – darin erfüllen sie ihre Aufgabe ohne Zweifel gut –, sind zu erkennen. Eine leichte Morgenröte heute im Tages-Anzeiger. Das erste Mal ein Kommentar, der die Frage nach der Verhältnismässigkeit der Massnahmen stellt, bezogen auf den Ruf nach einer Ausgangssperre, nach der, wie es scheint, inzwischen viele lechzen. Erfreulich auch, dass sich die Regierungen der grossen Schweizer Städte (Bern, Basel, Zürich) gegen eine Ausgangsperre aussprechen. Das sind Zeichen, die mir Hoffnung machen. Das sind Zeichen der Vernunft … Und vielleicht ist das ja auch der Geist, der durch mein Erzählen … Auch durch den Geist von dem, was viele andere machen, die zur Besonnenheit … Die guten Geister, die wir rufen, tun das Ihre dazu … Naiv, ich weiss, für all die Realisten. Für mich aber, ja für viele in unseren Kreisen, die wir uns seit Jahren mit dem Wandel der Erde im Geistigen befassen, ist das ganz und gar real … Und für die Grünen in der Politik, bei deren Gründern ich vor 40 Jahren war, kommt jetzt erst recht die Zeit, falls sie ihre Chance erkennen.
Es geht jetzt um die Modelle für eine wirklich bessere Welt, die es endlich, endlich, endlich umzusetzen gilt … Die Fachfrauen und Fachmänner für ein anderes Wirtschaften, das nicht mehr bloss brutal Mensch und Erde ausbeutet, gibt es längst … Auch das Wissen um ein anderes Gesundheitswesen, das nicht mehr bloss dem Mammon dient … Das Können für ein soziales Miteinander, anstatt einem dauernden Kampf um die Pfründe … Die Menschen, die wissen, wie dieses Umbauen geht, gibt es überall … Selbst in den Banken, selbst bei der Pharma – ja, sogar da – und natürlich auch in der Bildung … Einfach überall gibt es Menschen, die bereit für das Neue sind, jetzt bekommen sie ihre Chance. Denn wir haben nicht die 1000 Welten, die es bräuchte, um sich im Jahresrhythmus einen Corona-Crash zu erlauben. Mit einem neuen Impfstoff, von dem man bald schon schwärmt, ist höchstens eine Schlacht zu gewinnen – um den Jargon zu verwenden, den man jetzt weltweit aus dem Mund von führenden Männern hört. Ja, vor allem die Männer sind es, die sich so martialisch … Ein paar Frauen sind auch dabei … Tatsächlich aber geht es um den Frieden. Um den Frieden in und mit der Welt. Die Veränderungen, nach der Krise in diesem Sinn nach und nach, sind unausweichlich für alle. Auch für die Politiker und Politikerinnen und für die Wirtschaftsführer und Wirtschaftsführerinnen, die in der zurückliegenden Zeit sich mit aller Kraft noch gegen den Umbau sträubten, geht es nicht mehr anders … All diese Leute sind nicht dumm. Ich traue ihnen zu, dass auch sie die Zeichen der Zeit erkennen. Oder wenn ich es anders sage: «Wendehals» ist kein schönes Wort, aber nützlich ist es trotzdem. Wenn auch der Mann und die Frau, die oder der bis jetzt dem Neuen widerstand, sich nach der Krise mit der gleichen Kraft dem Neuen widmet, dem nicht auszuweichen ist, dann bin ich zuversichtlich. «Wendehals» in diesem Sinn ist auch eine Begabung, wenn es dem Wohl des grossen Ganzen dient. Es braucht nach der Krise die Menschen an allen Ecken und Enden, die, für sich und für die andern, die Chance im Neuen erkennen. Dann wird man künftig einmal, wenn man «Wende» sagt, nicht mehr «nur» an den Fall der Berliner Mauer denken. In diesem Sinn: Die Mauer auch in den Köpfen der Führenden in Wirtschaft und Politik möge fallen! Die Mauern in den Köpfen der Menschen weltweit … Das ist vielleicht naiv. Aber lieber bin ich naiv als hoffnungslos realistisch.
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