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Bruno Küttel

Nichtsdestotrotz


Blogbild Nichtsdestotrotz von Bruno Küttel

Terror über Terror. Jetzt ist er in der bayrischen und in der französischen Provinz angekommen, in der Normandie und in Franken. Wie gehe ich damit um? Wegschauen, weghören, es nicht mehr lesen wollen? Es ist nicht leicht, damit einen Umgang zu finden. Der Appell, man möge sich vom Leben, wie wir es gewöhnt sind, nicht abbringen lassen, sonst hätten die Terroristen gewonnen, ist zwar gut gemeint, aber helfen tut er wenig, wenn uns Tag für Tag Schreckensbilder erreichen. Die Bilder tun ihre Wirkung, ob wir wollen oder nicht.

Was also kann ich machen? Wie gehe ich damit um? Ich schreibe eine Geschichte, auch wenn das in diesem Fall nicht einmal so viel ist, wie der legendäre Tropfen auf den heissen Stein. Mit Geschichten die Welt verbessern. Naiv, ich weiss. Ich mache es trotzdem, den Umständen zum Trotz.

Der Zufall will es, dass ich gerade vor zwei Wochen eine Geschichte schrieb, die mit dem Satz begann: Die Welt hält stand, auch wenn ihre Krusten brechen. «THE WORLD» heisst die Geschichte, kurz und prägnant. Alles in grossen Lettern.

«THE WORLD» ist ein Amalgam aus dem, was sich ergab nach der Flutkatastrophe in Asien an Weihnachten 2004, als über 200‘000 Menschen auf einen Schlag ihr Leben lassen mussten. Menschen von dort vor allem, aber auch Touristen aus aller Welt. Die zwei Geschichten, die ich damals schrieb – «Die grosse Flut» und «Stilles Ahnen» –, reiften über die Jahre und sind zu «THE WORLD» geworden.

«THE WORLD» also schrieb ich, bevor wir nach Schottland flogen. Und wie es in den Ferien ist, vom Weltgeschehen bekam ich nur wenig mit. Umso geballter stand mir der Terror dann vor Augen, als ich, wieder zu Hause, daran ging, die Zeitungen zu verlesen. Wegschauen war unmöglich, und eigentlich wollte ich das auch nicht. Auch das, was da geschieht, ist ein Teil von meiner Welt. Wie aber gehe ich damit um? – Ich weiss es nicht. Gewiss ist nur die Frage, die Antwort ist im Fluss.

Und während ich «im Fluss» schreibe, tauchen Bilder von Schottland auf. Es war ganz wunderbar. Ein ideales Klima zum Wandern, wasserfeste Kleider und Schuhe vorausgesetzt. An zwei von vier Wandertagen hatten wir keinen Regen. Aber am ersten Tag, in der Gegend von Glencoe im Westen, gingen wir auf Wegen, die fast wie Bäche waren. Auch das war ein Erlebnis. Und überhaupt: Ich bin froh, dass wir am Anfang der Reise so ausgiebig Regen bekamen. Noch nie habe ich so viele so prächtige Bäche und Wasserfälle gesehen. Und dann waren diese Bäche plötzlich wieder weg oder nur noch harmlose Bächlein, am zweiten Sonnentag.

So oder anders, Schottland ist schön. Aber Schottland mit Regen ist eine Wucht für Menschen, die die Kraft des Wassers lieben. Ich meine das Fliessen in einer Landschaft, wo das Wasser noch fliessen darf … Und während ich dies schreibe, kommt mir «THE WORLD» wieder in den Sinn, wo es auch ums Wasser geht, das im einen Fall zerstört und im anderen Fall uns nährt.

Und noch eine Frage stellt sich: Ist es wirklich so, wie ich glaube, dass ich mit meinem Erzählen einen Beitrag leiste für eine bessere Welt? – Ich weiss es nicht. Mir fehlt die Gewissheit, ich habe nur eine Ahnung, und diese hat mit dem zu tun, was Henry David Thoreau vor 200 Jahren sagte und was ich immer wieder fürs Leben gern zitiere: «Was vor uns liegt und was hinter uns liegt, sind Kleinigkeiten im Vergleich mit dem, was in uns liegt, und wenn wir das, was in uns liegt, in die Welt hinaustragen, geschehen Wunder.» Und ein Wunder ist dann das, was ich nicht weiss im Voraus.

Und was ich auch noch sagen möchte: Menschen sind wie Wasser, das im einen Fall … und im anderen … Eine Antwort ist auch das, zugegeben, nicht, und so bleibt es bei der Frage: Wie gehe ich damit um?

Und was mir auch noch einfällt die Schottland-Reise betreffend: Am letzten Morgen, bevor wir uns auf den Weg nach Hause machten, gingen wir ins «Mountain Café» zum Frühstück. Wir wollten, aber wir kamen nicht hinein. Der Weg ins Café führte durch einen Laden für Wander- und Bergsportartikel. Um 8.30 Uhr waren wir da, und auf der Treppe in den oberen Stock standen die Gäste schon Schlange. Wir reihten uns ein, und eine Verkäuferin sagte auf unser Fragen, sonst würde das Café immer pünktlich öffnen. Aber dieses Mal war es anders, und so begaben wir uns, als die Geduld nachliess, hinaus auf die Strasse, um nachzuschauen, ob da oben etwas Besonderes im Gange war. Dort nahm aber alles, augenfällig, seinen gewohnten Lauf, nur dass die Gäste fehlten. Die Tür sei offen, beschied man uns von der Terrasse herab, schon seit 8.30 Uhr. Wer zuvorderst stand in der Reihe, war also – geduldig, wie sie meinten – vor der offenen Tür gestanden. Sie hätten bloss die Türfalle betätigen und die Tür aufstossen müssen, so wenig hätte es gebraucht.

Und dann fällt mir Thoreau noch einmal ein. So ähnlich, denke ich, muss es mit dem auch sein, was er damals sagte: Die Tür ins Herz steht offen, für jeden und für jede, aber hineingehen müssen wir selbst. Und tragen wir hinaus, was wir da innen finden, verändern wir die Welt. Die kleine Welt um uns zuerst und dann nach und nach auch die grosse.

Und das Frühstück übrigens im «Mountain Café» – als wir es dann bekamen – war ganz wunderbar, wir haben es genossen.

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