Es gibt Artikel in der Zeitung, die sind zu schön, um schon nach einem Tag im Altpapier zu landen. Heute zum Beispiel titelt der Tages-Anzeiger gross und fett über eine ganze Seite: «Wie ein Fluss aus Feinden Freunde macht». Der Bericht lässt mich erinnern, und der Bericht lässt mich auch hoffen.
Der Ben in meinem Buch schreibt Briefe und Geschichten. In einer von seinen Geschichten geht es ums Heilige Land: «Ist es nicht verrückt, was dort immer wieder geschieht? Warum an diesem Ort? Warum Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte lang? Hatten sie schon einmal Frieden, nicht nur Waffenstillstand?»
Der Ben und seine Rosa, wie meine Frau und ich, kommen in die Jahre. Wir haben nicht mehr unbeschränkt viel Zeit, um aus unseren Träumen Wirklichkeit zu machen. «Wer hier zu hoffen wagt», sagt der Ben im Buch, «ist ein unheilbarer Träumer. Aber was sollen wir anderes machen? Träume sind nie realistisch. Geben wir dem Frieden eine Chance, wider jede Vernunft! Warum sollten wir vernünftig sein? Sind die anderen denn vernünftig, die Krieg und Terror verbreiten?»
Und weiter sagt der Ben: «Kannst du dich erinnern? Als wir in Irland waren? Wir waren auch im Norden, wo ein paar Jahre zuvor noch Bombenterror herrschte. Was in Irland geschah, hielt man nicht für möglich, aber trotzdem ist es geschehen. Die Erzfeinde von einst regieren zusammen ihr Land. Von einer irischen Grenze war kaum mehr etwas zu sehen. Und auch in den Köpfen und Herzen weichen sich allmählich die harten Grenzen auf. Auch wenn die Fahnen, die über den Strassen wehen, da noch anders sind als dort, machen sie miteinander Geschäfte.»
Der Ben hat einen Traum, den ich mit ihm teile – und andere tun das auch. Munkath Mehyar zum Beispiel, ein jordanischer Umweltschützer hat «Ecopeace» mitbegründet. Als dieser Konflikt begann – so sage er und so steht es in der Zeitung –, hätten alle die Wasserquellen beherrschen wollen. Es sei ein Nullsummenspiel gewesen. Mehr Wasser für einen selbst und weniger für den Feind. Und schon die erste Terroraktion der Fatah, im Jahr 1964, habe einer Wasserpumpe gegolten, die Teil der «Nationalen Wasserleitung» war, die Israel baute, um das Wasser aus dem Jordantal in die Negev-Wüste zu leiten. Neben dem Jordanier Mehar, heisst es, würden der Palästinenser Nader al-Khatib und der Israeli Gidon Bromberg zu den «Ecopeace»-Gründern gehören.
«Früher kämpfte man um Unabhängigkeit. Ökologisch machen Grenzen aber keinen Sinn.» So wird der Israeli Bromberg im Zeitungsartikel zitiert. Und weiter: «Die unwirtliche Natur ist der grösste Feind. Ihre Herausforderungen schweissen uns zusammen. So entsteht Vertrauen – als Basis für die Zukunft.» Das sagt dann wieder der Jordanier Mehar, und auch das steht in der Zeitung. Und ein Bild dazu von Jossi Vardi und Hassan Garmi, Israeli der eine, der andere ein Palästinenser, Bürgermeister beide. Auch diese beiden im Alter von Ben und mir. Auch Vardi und Garmi waren diese Feinde, die der Fluss zu Freunden machte. Beide haben, als sie Kinder waren, in den 1960er-Jahren, den Jordan noch mit schäumenden Fluten erlebt. «Es war wie in Colorado», sagt der eine, «die Farben meiner Kindheit waren Blau und Grün.» Und jetzt ist das Ganze nur noch ein schmales Rinnsal mit einer schmutzig braunen Brühe.
Aber das soll sich jetzt ändern, und dafür setzt «Ecopeace» sich ein, im Verbund mit den Menschen vor Ort von hüben und drüben der Grenze. Mit den Bürgermeistern Garmi und Vardi zum Beispiel. Nun gibt es einen regionalen Plan zur Wiederbelebung des Flusses. Erste Erfolge seien schon da, heisst es, und vor allem: Menschen, die Feinde waren, reden miteinander und suchen nach einer Lösung.
Kein Problem eigentlich, sagen die Leute von «Ecopeace». Die Meerwasserentsalzung habe aus einer knappen Ressource eine potenziell unendliche gemacht. Sie nennen, was sie entwickeln, ein perfektes Geschäftsmodell. Israel habe die fortschrittliche Technologie, die es dafür brauche. Jordanien und Palästina hätten viele gute Arbeitskräfte und grosse, leere Landstriche, also genügend Platz für die benötigten Solarkraftwerke. Die einen liefern den Strom, den die anderen brauchen, um Trinkwasser herzustellen, und alle zusammen bauen mit vereinten Kräften am grossen Leitungsnetz, um das Wasser zu verteilen. Und weil die «Ecopeace»-Leute wissen, dass ein solches Werk auf Vertrauen fusst, bringen sie junge Aktivisten von allen drei Seiten zusammen und bauen so Brücke um Brücke. Zuerst noch kleine Brücken. Dann grösser, grösser, grösser, weil auch der Fluss über die Jahre wieder grösser wird – wie er einmal war in den 1960er-Jahren.
Und dann machen meine Frau und ich, wenn es an der Zeit ist, mit Ben und Rosa zusammen – in etwa einem Jahrzehnt – unbeschwert und unbesorgt die erträumte friedliche Reise durch ein friedliches Heiliges Land. Und dann fahren wir durchs Jordantal, von der Quelle im Norden bis hinunter ans Tote Meer. Und dann erinnern wir uns daran, dass da vor einigen Jahren ein paar Träumer waren, die in Angriff nahmen, was unausweichlich war. – Am Anfang stand ihr Traum, und am Anfang stand ihr Mut.