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  • Bruno Küttel

Herzensqualität


Lieber Maurus, die Gespräche von gestern klingen nach. «Das macht der Kopf», hast du gesagt, als Josef vom erstaunlichen Lernen seiner Grosskinder erzählte. Und ich sage jetzt gern dazu, nachdem ich eine Nacht darüber schlief: Es mag ja sein, dass wirklich alles am Kopf hängt wie am Ballon, aber ohne die warme Luft, die aufsteigt aus dem Herzen, ist der Ballon nur ein leerer Sack.

Und Maurus gab mir zur Antwort: Nun wird mir klarer, was und wie du meine Äusserung verstanden hast. So habe ich es aber nicht gemeint. Ich bezog mich auf das Buch von Manfred Spitzer: «Digitale Demenz», respektive auf die vielfältigen neuen Aspekte der Hirnforschung. Ich meinte aber nicht, dass das «Herz» nicht wichtig sei oder nicht integraler Bestandteil unseres (auch bereits kindlichen) Seins. Die neurologische Verdrahtung (sprich Synapsenbildung), Interpretation, Reflexhierarchie etc. finden wohl schon im Gehirn statt. Wenn du schon ... Ob dir dies als Beweis genügt? ... Ein Hirnforscher würde vielleicht sogar sagen ... Dahingegen ist das Buch «Darm mit Charme», von dem wir es auch noch hatten (und das ich noch nicht ganz fertigverdaut habe), interessant. Möglicherweise ist vieles von unserer Stimmung auch vom Darm mit den kiloweisen Bakterien abhängig. Dann wären da noch die Psychoimmunologie, die Immunologie insgesamt, die genetische Veranlagung etc. etc. … Die Gefühle sind dann wirklich viel schwerer zu fassen als z.B. eine Bewegungskoordination. Entweder hat man die Übung, den Handstand zu vollbringen, oder nicht. Das kann gezeigt werden, aber wie ist das mit einem Gefühl?? Vielleicht ist noch anzumerken, dass der Begriff «Gefühle aus dem Herzen aufsteigen» – so hast du es doch gemeint mit der warmen Luft – zwar literarisch und volksnah ist, jedoch wissenschaftlich wenig hergibt. Was denn genau dort im Herzen lokalisiert ist? … Wahrscheinlich ist im Darm viel mehr Wichtiges los. Drum sei dir dein Raclette gestern gedankt, deine Gastfreundschaft und Freundschaft.

Worauf ich meinerseits noch schrieb: Als Beweis genügt mir das selbstverständlich! Mehr zu verlangen, wäre vermessen. Und wieder einmal weiss ich, weshalb ich mich keiner von diesen exakten Wissenschaften zugewendet habe. Hätte nie gedacht, dass ich einmal mit grosser Freude sage: Bin gern ein Jurist, weil es mir ein beträchtliches Mass an Freiheit schenkt im Umgang mit den (scheinbar) strikten Regeln. Danke dir für diese meine Erkenntnis und auf ein nächstes Mal!

Am anderen Tag doppelte ich noch nach: Ja, das sagst du richtig. Zwar «literarisch und volksnah», aber wissenschaftlich …? Ich kann es nicht erklären. Aber die Leichtigkeit, die ich in dieser Hinsicht spüre, hat damit zu tun, dass ich es geschehen lassen kann, und dass ich es geniesse, auch wenn ich es nicht verstehe. Was ich erlebte zum Beispiel bei Thomas Young in Basel am vorletzten Wochenende – das ist einer von diesen spirituellen Lehrern, zu denen ich ab und zu gehe –, war ganz wunderbar. Zu erklären gibt es nichts, wie gesagt, und für das Erzählen wäre es zu viel. Ich kann nur einfach sagen, dass es um den «Lehrer» in mir ging. Du weisst ja, dass ich lange nicht wusste, was ich werden will, aber dass für mich als Kind schon klar war, dass ich nie im Leben ein Lehrer werde. Und jetzt ist mir am besagten Wochenende bei diesem Lehrer in Basel, vor zehn Tagen also, der Lehrer in mir begegnet. Es gibt Leute, die können von dem, was ich mache und was ich erzähle, etwas lernen, wie es scheint, wie auch ich von anderen, die mir aus ihrem Leben erzählen, immer wieder lerne. Es ist vielleicht wirklich so, wie man sagt: Dass das, was man heftig ablehnt, zuinnerst auf einen wartet. Und so sage ich jetzt: Es sei, wie es ist! Wenn ich da innendrin wirklich ein Lehrer bin, dann bin ich das jetzt gern. Ich bin es auf meine Weise. Dann bin ich jetzt der Lehrer, der seinen Stoff mit Büchern und Geschichten unter die Leute bringt. Und auf den Punkt gebracht: Dann sei das jetzt meine «Lehre vom Heilen im Alltag». Jetzt habe ich es be-griffen und ver-standen, mit Händen und mit Füssen. Dafür, so stelle ich fest, sind mir solche Tage bei Heilern und bei Lehrern – die weiblichen Formen inbegriffen – immer wieder hilfreich. Dafür gehe ich hin. Um mich zu er-innern, nicht um zu verstehen, und schon gar nicht, um zu erklären, was ich nicht erklären kann. So gesehen, lieber Maurus, hast du recht: Wissenschaftlich ist es nicht ergiebig. Aber um das auch noch zu sagen: Solchen Menschen zu begegnen, tut mir einfach gut. Mir geht das Herz auf, wenn ich bei diesen Menschen bin. Sinnigerweise spricht dieser Thomas Young, bei dem ich war, von «Herzarbeit» bei dem, was er macht. Mit Wissenschaft, wie wir Wissenschaft verstehen, hat das nichts zu tun, ich weiss, da hast du natürlich recht, aber trotzdem: Diese Herzarbeit ist Gold wert, weil … Aber erklären will ich es nicht, wie gesagt. Und es geht ja auch anders, wie wir beide wissen. Dir zum Beispiel geht das Herz über, wenn du Musik machst oder singst. Und auch das ist mehr literarisch, dieses Herz, das überfliesst. Und paradox ist es auch: Wovon das Herz erfüllt ist, davon läuft es über. Ein von Freude volles Herz … Jetzt wollte ich doch fast noch erklären … aber lasse es lieber bleiben, Wissenschaft hin oder her. – Das Erzählen ist es, das mir Freude macht.

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